32c. Die Vißbecker Braut.

Mittheilungen des Historischen Vereins zu Osnabrück, 1853, S. 41.

[30] In der Ahlborner Heide unweit der Aue und nordwestwärts derselben an dem Abhange einer Anhöhe, die Steinlage genannt, 11/2 Stunde vom Dorfe Vißbeck entfernt, liegt ein aus 71 großen, in zwei parallelen Reihen aufgestellten Steinen bestehendes Denkmal, die Vißbecker Braut genannt, und etwa eine Viertelstunde westlich davon ein anderes aus 122 Steinen bestehendes, welches man den Bräutigam nennt. Nach der Sage wurde ein Mädchen, das schon einen andern liebte, von den Aeltern gezwungen, einen Bräutigam zu heirathen, den sie nicht mochte. Da soll sie, als sie bereits auf dem Wege zur neuen Heimat war, gebetet haben, daß sie von diesem Jammer erlöst werden möge, und alsbald soll ein Unwetter entstanden sein, welches die Braut sammt ihrem Gefolge in Stein verwandelte; ebenso wurde gleichzeitig der Bräutigam mit der Hochzeiterschar, der ihr entgegengezogen war, verwandelt.


Vgl. Märkische Sagen, Nr. 34, sowie Norddeutsche Sagen, Nr. 301 mit der Anm.; Harrys, I, Nr. 31. Noch einige solcher Stätten, wo sogenannte Brautsteine sich finden, verzeichnet Mannhardt in seiner Zeitschrift, III, 76. Von Braut, Bräutigam und Brautführer, die, als sie die Betglocke hören, frevelhafte Reden führen und über Gott und Gebet lästern, erzählt die Sage vom Brautlachenberg bei Panzer, I, 112. Wagen und Gespann versinkt mit ihnen hart am Berge, und zum ewigen warnenden Andenken bleibt ein Sumpf. So[30] ertrinkt eine einen andern liebende Braut bei der Fahrt zur Hochzeit über den See, vgl. Müllenhoff, Nr. 132, der noch bemerkt, daß es in dortiger Gegend mehrere dergleichen Brautlöcher gibt, ebenso Märkische Sagen, Nr. 146, und unten Nr. 354. Ein Bräutigam holt die Braut heim; als sie über den gefrorenen Sund gehen, ertrinken beide mit den Hochzeitern; alle werden in Steine verwandelt, die man noch sieht und Hochzeits- oder Brautsteine nennt; Rußwurm, Sagen, Nr. 44. Da fast alle diese Sagen die Braut zur Ehe gezwungen werden laßen, dazu ferner der Untergang im Waßer kommt, der uns auf die Unterwelt zu weisen pflegt, so vermuthe ich in diesen Sagen einen dem Raub der Persephone gleichen Mythus; die Verwünschung in Stein mag aus der Verwünschung in den Stein oder Berg hervorgegangen sein, und dazu mögen bei den alten Steindenkmalen gefeierte heilige Gebräuche (vgl. Müllenhoff, Nr. 132; Mannhardt, Zeitschrift, III, 76) weitern Anlaß gegeben haben. Wenn die etwas romantische Sage bei Harrys echten Grund hat, so wäre sogar die Braut (übrigens untreu) durch die aufgerißene Erde verschlungen worden. Auch nach Niederhöffer's Meklenburgischen Sagen (I, 89 fg.) versinkt eine zur Ehe mit einem Ungeliebten gezwungene Braut, die Stelle heißt noch heute »am Brautwagen«. Indeß bedürfen wir dieses Beweises kaum, da er sich, wie ich glaube, noch anderweitig bietet. Ich habe schon früher die Vermuthung ausgesprochen, daß die Glocken an die Stelle alter Göttinnen getre ten seien (zu Norddeutsche Sagen, Nr. 62, oben Nr. 26 b); zahlreiche Sagen erzählen aber, daß sie vom Teufel, sobald sie nicht getauft sind, geraubt werden und er mit ihnen zur Hölle hinabfährt; die dadurch entstandenen Teiche führen in den Niederlanden gewöhnlich den Namen Helleput (Wolf, Beiträge, S. 202). Dort unten steht die Glocke auf einem Tisch und wird von einem Hunde bewacht, gerade wie der Schatz der weißen Frau, vgl. zu Nr. 380. In den zu Norddeutsche Sagen, Nr. 62, angeführten Belegen wird man einige finden, in denen eine der Glocken Anne Susanne, die andere Margrete heißt, gerade diese ist es, die zu Lande, also aus der Unterwelt emporsteigen will. In der schwarzen Grete oder Margriet vermuthet aber Wolf (Beiträge, I, 203) mit vielem Fug die Hel; sonach hätten wir auch auf diesem Wege den Raub der Göttin durch den Unterweltsgott gefunden. Auch Woeste in Wolf's Zeitschrift, II, 84 fg., Zingerle, ebendaselbst 358, und Simrock, Mythologie, S. 352, nehmen in Grete eine Göttin an.[31] Uebrigens erscheinen beide Sagenkreise, Brautsage und Glockensage, verbunden in Nr. 314. Die Fortsetzung des so gewonnenen Mythos bilden die Räubersagen. Vgl. zu Nr. 26 a. – In andern Sagen werden die in Reihen oder Kreisen stehenden Steine als sündliche Tänzer, die zur Strafe verwandelt sind, bezeichnet, so Märkische Sagen, Nr. 236; sie tanzten nackt am heiligen Pfingsttage; ähnlich Norddeutsche Sagen, Nr. 187. Ferner Keysler, Antiquitates septentrionales, S. 11, wo eine gleiche Sage aus der Gegend von Bristol mitgetheilt wird: »Incolae appellant, the Parson and the Clerk, fabulantes choream die dominica saltantium una cum sacerdote et fidicinibus in lapides fuisse versam.« Endlich Athenaeum 1846, Nov. p. 1217 b. »In the adjoining parish of Saint Burian Here exists, in a field, a very perfect Druidical circle, commonly called the ›Merry maidens‹. Tradition, taking up her tale since the introduction of christianity, relates that a party of maidens were caught by the holy Saint Burianna dancing on Sabbath day; and that she as a judgment on them and to make them as an example to all future ages, changed them into stone as they now stand. – A much larger group of upright stones exists in the north of Cornwall, not far from St. Colomb – called the Hurlers. These like the Merry Maidens are said to be a party of young men, who were on the sunday pursuing the old Cornish game of hurling, for which sin they were transfixed in stones.« – Möglicherweise waren die obigen von Keysler besprochenen Steine dieselben, die man jetzt (vgl. die Anmerkung zu Norddeutsche Sagen, Nr. 301) »die Hochzeit« nennt, wodurch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen beiden Sagenkreisen wahrscheinlich würde. Auch das griechische Alterthum kannte, wie es scheint, ähnliche Steinbildungen, nämlich den dem Dädalos zugeschriebenen Tanzplatz der Ariadne zu Knossos, dem vielleicht ein ebensolcher zu Delos zur Seite stand. Ilias, Σ, 590-592; Paus. IX, 40, 3. Ἀριάδνης χορός – ἐπειργασμένος ἐστὶν ἐπὶ λευκοῦ λίϑου; vgl. Preller, Griech. Mythologie, I, 423; II, 197; Creuzer, Symbolik, IV, 269. Da der Mythos vom Theseus und Minotauros wesentlich in den Kreis der Unterweltsmythen gehört, ist vielleicht ein Zusammenhang zwischen den griechischen und deutschen Erzählungen annehmbar.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen und einigen andern, besonders den angrenzenden Gegenden Norddeutschlands 1–2. Band 1, Leipzig 1859, S. 30-32.
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